Textprobe aus Monika Myway: Die Rosenernte
	Ich war in der tiefschwarzen Stimmung meiner Ausweglosigkeit nach Rüdesheim, dem lauten Weinort, gefahren und irgendwie gelangte ich dort in die Weinberge, schließlich zur Klosterkirche St. Hildegard. Die Kirche, in Halbdunkel getaucht, war wohl leer. Ich ging nach vorn, nahm kaum irgendetwas wahr, zu unglücklich, zu verzweifelt um irgendein Gebet zu formulieren. Ob gläubig oder ungläubig – wie viele Menschen kennen wohl eine solche Situation! Kein Ausweg, alles finster, das Leben nur noch eine Last! Man scheint am Ende zu sein.
	
	Nachdem ich eine Zeit lang im Halbdunkel der Kirche gesessen hatte, ging ich wieder auf den Ausgang zu und sah wie zufällig auf die Wand der Klosterkirche neben der Tür: In großer Schrift stand dort, eingemeißelt in die Mauer, der Spruch des Herrn:
	
	Siehe, Ich Bin Da
	
	In diesem Augenblick trafen mich diese Worte mitten ins Herz, unbeschreiblich, eigentlich nicht mehr als Worte, sondern als feste Überzeugung, die Gott mir wie ein Aufstrahlen in der Dunkelheit schenkte, ja, mit der er die Dunkelheit in strahlendes Licht verwandelte – für diesen Tag, ganz! Kein Ausweg weiterhin, das Leid ungelöst, aber fröhlich, strahlend vor Glück, wie durch wundersamen Zauber verwandelt, verließ ich die Kirche, voll Zuversicht: Was konnte mir noch geschehen? Gott war bei mir und ganz neu – wenn ich dieses Wort auch nicht dachte – erfuhr ich von Gott.
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